„Ich sitze hier in meiner Wohnung und gebe mein erstes Interview auf Deutsch. Allein deswegen hat es sich schon gelohnt“, erzählt Victor Findlay mit etwas Stolz in der Stimme, als er sich dem Interview mit NHL.com/de stellt. „Ich muss gestehen, dass ich mich zwar auf dieses Gespräch gefreut habe und begeistert bin. Aber ich bin auch ein bisschen nervös, denn es ist etwas Besonderes für mich, dieses Interview auf Deutsch zu geben. Es ist ein wichtiger Meilenstein für mich auf dem Weg, Deutsch zu lernen“, räumt er zu Beginn sympathisch ein. Einen Grund für die Nervosität gibt es jedoch nicht.
Der 29-Jährige ist seit zwei Jahren Radiokommentator der Spiele der Montreal Canadiens beim Sportsender TSN. Ein Kindheitstraum ist für ihn wahr geworden. Er ist normalerweise aufgrund seines Jobs nicht um Worte verlegen, allerdings eben sonst in Englisch und nicht in deutscher Sprache. Doch verstecken muss er sich nicht, denn obwohl er erst seit 2020 Deutsch lernt, kann er sich schon sehr gut ausdrücken.
Findlay lernt nach eigener Aussage täglich Sprachen und bezeichnet das neben Gitarrenspiel und Eishockey schauen als sein Hobby. „Fast jeden Tag mache ich etwas auf Deutsch“, merkt er an. „Gleichzeitig versuche ich, Französisch, Russisch und Schwedisch zu lernen. Mein Schwedisch ist derzeit wahrscheinlich einen Tick besser als mein Deutsch. Doch beide sind ziemlich gut. Französisch und Russisch muss ich noch viel lernen.“
Sein vermutlich vorhandenes Talent für Sprachen ist jedoch differenziert zu sehen. Während ihm die germanischen und damit nordischen Sprachen zu liegen scheinen, sind die romanischen offenbar nicht so sein Ding.
„Ich weiß nicht, ob ich Talent für Sprachen habe“, erwidert Findlay bescheiden, als er nach seinem Talent gefragt wird. „Es ist für mich eher harte Arbeit. In Kanada ist es obligatorisch, in der Schule Französisch zu lernen, und ich hatte eigentlich immer gute Noten. Aber mein Gefühl sagte mir nie, dass ich ein gewisses Talent dafür hätte. Deswegen habe ich Französisch in der Highschool aufgegeben, aber dann habe ich an der Universität auch Spanisch probiert. Und das war ein totaler Reinfall! Daran bin ich komplett gescheitert (lacht). Ich weiß nicht, warum, aber ich habe mir so viel Mühe gegeben. Ich konnte diese Sprache einfach nicht verstehen. Ich bin am Examen gescheitert, es war ein Schuss in den Ofen.“
Doch im Januar 2020 entwickelte Findlay plötzlich große Lust, wieder eine Sprache zu lernen, und die anschließend zusätzliche Freizeit während der Corona-Pandemie kam ihm dabei zugute.
„Ich war zu der Zeit Kommentator in der OHL bei den Mississauga Steelheads sowie den Peterborough Petes und die Saison wurde abgebrochen“, blickt Findlay zurück. „Da kam mir sofort Deutsch in den Sinn und ich fragte mich: Wie schwierig kann es sein, das zu lernen? Es reizte mich, bei Deutsch ganz von vorne zu beginnen. Ich dachte, das könnte mir auch im Eishockey und für meine Karriere nützlich sein. Ohne den Druck der Schule war es für mich viel einfacher. Das hat mir mehr Selbstvertrauen gegeben. Weiter so und bleib dran! Und jetzt mein erstes Interview auf Deutsch. Wahnsinn! (lacht)”
Findlay stammt aus Oshawa in Ontario, lebte neun Jahre in Toronto und ist seit zwei Jahren in Montreal sesshaft. Schon früh wusste er, was er werden wollte, und diesen Kindheitstraum verfolgte er eisern – ähnlich wie jetzt beim Sprachenlernen.
„Ich habe Sport-Medien an der Universität studiert und gleichzeitig angefangen, drei Jahre lang die Spiele unserer Universitätsmannschaft im Eishockey zu kommentieren“, verdeutlicht er. „Aber die Entscheidung, Sportkommentator zu werden, hatte ich schon mit zwölf Jahren getroffen.“
Jetzt kommentiert Findlay beim landesweit in Kanada agierenden Sportsender TSN die Spiele der Canadiens im Radio. „Es gibt noch eine Nachfrage nach Radioinhalten, auch von Livespielen“, schätzt er die Lage ein, sodass er um seine Arbeit nicht bangen muss. „Ich weiß nicht genau, wie die Zukunft aussehen wird, aber ich bin mir sicher, dass Audio-Übertragungen der Canadiens weiterhin existieren werden, sei es im Radio oder im Internet. Doch die Zukunft von Sportübertragungen im Radio ist generell eher unsicher.“
Für Findlay ist damit trotzdem ein Traum wahr geworden. Aufgrund der zukünftigen unsicheren Entwicklung des Radios hat er jedoch auch weitere Ziele. „Grundsätzlich ist es mir egal, ob ich im Fernsehen oder im Radio zu hören bin“, erklärt er. „Ich will einfach Spiele kommentieren, das bereitet mir großen Spaß. In der NHL angekommen zu sein, ist etwas Besonderes. Ich bin glücklich in Montreal. Natürlich möchte ich mich weiterentwickeln und im nächsten Schritt eines Tages das Finale der Junioren-Weltmeisterschaft kommentieren, egal ob im Radio oder Fernsehen. Ich liebe das nationale Eishockey, aber ein internationales Finale einer Weltmeisterschaft zu kommentieren, wäre genial.“
Es ist davon auszugehen, dass Findlay mit der gleichen Akribie weiterarbeiten und dieses Ziel irgendwann auch erreichen wird. In Montreal sieht er die Zukunft der Canadiens nicht nur wegen des erfolgreichen Saisonstarts äußerst positiv, und er will daran teilhaben. Schließlich sind die Übertragungen bei Erfolgen natürlich für die Fans interessanter und diese schalten eher ein. Das erhöht dann seinen Bekanntheitsgrad.
„Was für ein Start hier in Montreal!“, schwärmt Findlay. „Wir haben sehr viele junge Spieler bei den Canadiens, die sich noch entwickeln. Es wird eine spannende Zukunft. Nachdem sie letztes Jahr schon die Playoffs erreicht haben, ist die Grundlage gut, weitere Schritte zu machen. Die Stadt und die Fans haben sich gefreut, wieder in den Playoffs zu sein, doch das bedeutet auch, dass die Erwartungen steigen. Die Stimmung ist derzeit wirklich toll hier.“
„Der Start war gut, aber es ist eine lange Saison. Es wird Rückschläge geben, erst recht für eine junge Mannschaft wie die Canadiens. Dann müssen wir mal sehen, wie es sich entwickelt. Ich hoffe, dass es wieder für die Playoffs reicht, aber versprechen würde ich es nicht. Alle Spiele sind sehr eng und oft geben Kleinigkeiten den Ausschlag. Mit den talentierten Spielern ist die Zukunft auf jeden Fall sehr vielversprechend.“
Er hofft, in Zukunft mit dem Österreicher David Reinbacher, der als junger Verteidiger zu diesen hoffnungsvollen Talenten gehört und bald bei den Canadiens auflaufen dürfte, viel Deutsch sprechen zu können. Bis dahin sucht er andere Wege.
„Am Samstag kommt Tim Stützle mit Ottawa in die Stadt“, freut sich Findlay. „Ich werde auf jeden Fall versuchen, mit ihm ein paar Sätze in Deutsch zu wechseln.“





















