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Jessica Campbell ist in ihrer zweiten Saison als Assistenztrainerin bei den Coachella Valley Firebirds, dem Farmteam des Seattle Kraken. Mit NHL.com/de sprach die Kanadierin exklusiv über die gestiegene Verantwortung beim AHL-Spitzenreiter, die Entwicklung spannender neuer Talente für die NHL, ihren Berater-Job in der PWHL und die nach wie vor enge Verbindung zu Deutschland.

Deutschland im Herzen

Campbell schrieb bereits in der Saison 2021/22 als erste Trainerin in der DEL Schlagzeilen. Damals holte sie der langjährige NHL-Coach Tom Rowe zu den Nürnberg Ice Tigers, wo sie als Co-, Skating- und Skills-Trainerin einen bleibenden Eindruck hinterließ. Daraufhin unterstützten Campbell und Rowe auch das Trainerteam der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2022 in Finnland. 

„Mein Herz war damals in Deutschland und ist es noch immer“, sagt Campbell. „Dann hat sich aber diese Chance in der AHL aufgetan. Ich habe eine starke Verbindung zu euch und werde immer für Deutschland jubeln.“

Erfolgsgeschichte bei den Firebirds

Die Chance hieß Coachella Valley Firebirds, das AHL-Farmteam des Seattle Kraken, das in der Saison 2022/23 an den Start ging. Gleich im Premierenjahr schafften es die Firebirds sensationell bis ins Calder Cup Finale (3:4 gegen die Hershey Bears). Auch 2023/24 drückt Coachella Valley, ein Tal in Süd-Kalifornien, den Stempel auf und ist mit einer 36-13-8-Bilanz Spitzenreiter in der Pacific Division.

„Wir sind stolz darauf, wo wir stehen“, sagt Campbell. „Es macht Spaß, uns zuzuschauen, vor allem, weil wir ein hartnäckiges Team mit viel Talent sind. Egal ob jung oder alt, wir sind schnell, haben gerne den Puck und geben diesen nicht wieder her. Mit unserem Puckbesitz und unserer Zeit in der Offensivzone können wir Gegner zermürben. Wir zählen auch zu den torgefährlichsten Teams in der AHL, worauf wir sehr stolz sind. Wir sind schnell und physisch – und damit ein Titelanwärter. Und das, obwohl wir in diesem Jahr viel mehr junge Spieler in der Aufstellung haben.“

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Mehr Verantwortung unter Bylsma

Im Coachella Valley arbeitet Campbell unter Headcoach Dan Bylsma, von dem sie sich viel abschaut. „Dan ist extrem clever, er kennt das Spiel, und ich kann mich immer auf seine Erfahrung und auf das, was er sieht, verlassen“, so Campbell. „Das Wichtigste, was ich gelernt habe, ist, dass er immer er selbst ist. Er ist authentisch, schafft eine gute Atmosphäre, in der sich Spieler wohl und gebraucht fühlen. Er findet einen Zugang zu jedem Spieler und weiß, wie er sie anpacken muss. Er ist ein starker Anführer, ein Vorbild und legt den Fokus auf seine Spieler. Gleichzeitig ist er auch emotional. Ich schätze diese Leidenschaft.“

Die in Moosomin/Saskatoon geborene Kanadierin trägt im Vergleich zur Vorsaison selbst mehr Verantwortung.

„Ich kümmere mich jetzt auch um das Powerplay und arbeite wie damals in Nürnberg als Trainerin für Skating und Skills“, erklärt Campbell. „Meine Stimme hat in der Kabine mehr Gewicht. Ich möchte weiterhin meinen Teil beitragen, Spieler zu entwickeln und sie jeden Tag besser zu machen. Das ist es, was mir viel Spaß macht.“

Kartyes Erben: Wright, Morrison, Winterton

Aufgabe der Firebirds ist es auch, Talente in der AHL für den Kraken in der NHL zu entwickeln. Ein perfektes Beispiel dafür war Tye Kartye in der Vorsaison, der wie Phoenix aus der Asche in Seattle in den Playoffs durchstartete, obwohl der ungedraftete Stürmer nie zuvor in der NHL gespielt hatte (zehn Playoff-Spiele, 3-2-5). Laut Campbell stehen die nächsten Talente bereits in den Startlöchern.

„Mir fallen sofort Shane Wright, Logan Morrison und Ryan Winterton ein. Die Jungs muss man sich merken“, zählt Campbell auf und geht ins Detail: „Bei Morrison könnte es ähnlich werden wie bei Kartye. Er ist auch ungedraftet, entwickelt sich jeden Tag und wird ein ausgezeichneter NHL-Spieler sein. Er hat hart an seinem Skating gearbeitet, ist ein extrem cleverer und intelligenter Spieler. Alle unsere Talente und jungen Spieler haben das Zeug, es zum Seattle Kraken zu schaffen. Wir sind gespannt darauf, wohin ihre Reise führen wird.“

Campbell selbst konnte erst im Sommer wieder NHL-Luft in Seattle schnuppern: „Im Development Camp im Juli hatte ich viel Zeit, mit den Spielern am Skating und an den Skills zu arbeiten. Das hat sich zwei Monate durch das Rookie Camp, das Main Camp und die Preseason gezogen. Ich war Teil des Trainerstabs und wurde danach zu den Firebirds geschickt. Es gab coole Momente und viel zu lernen. Wir haben als Team gearbeitet, ich war ein Teil dieses Kraken-Puzzles.“

„Es gibt immer etwas zu verbessern“ – auch bei Kanadiern!

Die Spezialität der 31-jährigen Trainerin ist das Skating. Selbst bei Kanadiern, die sprichwörtlich mit Schlittschuhen an den Füßen auf die Welt kommen, gibt es etwas zu verbessern. 

„Wenn du in Kanada geboren wirst, dann ist es selbstverständlich, dass du skaten kannst. Es ist aber nie zu spät, an diesen Stärken zu arbeiten, egal, ob du ein Star, ein Profi oder ein Talent bist“, sagt Campbell. „Es gibt immer eine Möglichkeit, die Technik aufzupolieren, einen neuen Kniff zu finden. Es gibt immer etwas zu verbessern oder alte Gewohnheiten aufzubrechen. Unsere Spieler haben die Chance, ihr Spiel zu verbessern und es in die NHL zu schaffen. Sie sind dankbar für diesen Input und arbeiten gerne an ihrem Skating. Sie geben jeden Tag alles, um an ihrer Technik zu arbeiten.“

Campbell brachte sich diese Fähigkeiten zum Teil selbst bei, wurde aber auch mit entsprechendem Talent gesegnet. „Ich war eines dieser Kinder, die mit Skates an den Füßen geboren wurden“, lacht sie. „Meine Eltern haben Hockey gespielt, ich bin das jüngste von vier Kindern, die alle Hockey gespielt haben. In unserer Freizeit waren wir immer auf dem Eis. Ich bin viel geskatet, hatte Spaß auf dem Eis, es geliebt und ein natürliches Talent dafür. Ich konnte diese Skating-Fähigkeiten entwickeln und von guten Trainern lernen.“

Der deutsche Kraken-Torwart Philipp Grubauer kam derweil noch nicht in den Genuss von Campbells Skating-Training. Bei den Goalies nämlich hört ihre Zuständigkeit auf.

„Die Goalie-Position hat seine eigenen Herausforderungen, da liegt die Expertise bei den Torwart-Trainern“, so Campbell. „Es ist einfach zu verschieden. Trotzdem macht es Spaß, in derselben Organisation wie Grubi zu sein. Wir haben gute Gespräche. Auch unser Video Coach Erik Elenz war schon für Team Deutschland bei WMs und begrüßt uns immer mit „Guten Morgen“ und „Team Germany“.“

Emotionaler Nebenjob als Beraterin in der PWHL

Campbells Expertise war auch beim Aufbau der neuen Frauen-Profi-Liga PWHL gefragt. Sie wurde vom Klub aus Ottawa als Beraterin engagiert. 

„Ich habe Michael Hirshfeld, dem GM des Teams, dabei geholfen, eine Mannschaft zusammenzustellen. Wir haben zwar viele Niederlagen in der Overtime, aber trotzdem eine schlagkräftige Truppe“, führt Campbell aus. „Sie wollten, dass ich ein Teil ihres Teams bin. Ich habe meine Verbindung zu den Frauen also nicht verloren, was mir wichtig war. Ich will auch weiterhin ein Teil der Entwicklung sein, diese Phase des Wachstums miterleben und dem Frauen-Eishockey etwas zurückgeben. Deshalb bleibe ich eng dran, um weiterhin unterstützen zu können.“

Überhaupt sieht Campbell das Frauen-Eishockey durch die neugeschaffene PWHL auf einem guten Weg: „Es ist eine spannende Zeit für Frauen im Eishockey. Es macht Spaß, die PWHL zu verfolgen. Ich habe beste Freunde, die dort spielen. Sie haben jetzt eine Heimat, eine eigene Kabine, werden fair bezahlt und haben die Möglichkeit, als Profis zu arbeiten. Es war schön zu sehen, wie sehr sich die Leute in Kanada und den USA auf die PWHL gefreut haben. Wir in Ottawa sind in jedem Spiel ausverkauft. Mit 8000 Zuschauern kommen mehr als zu den Juniorenteams der Herren. Ich hoffe, dass das so weitergeht, dass Sponsoren und Investoren darauf aufmerksam werden, um diese Liga nachhaltig zu gestalten und auszubauen.“

Campbell, die jahrelang selbst als Pionierin für Frauen im Eishockey kämpfte, wird bei diesem Thema emotional. „Sie machen diesen Job jetzt hauptberuflich. Ich musste noch in einer unbezahlten Liga spielen, deswegen bin ich auch so früh in den Trainerberuf gewechselt. Jetzt zu sehen, was in den letzten fünf Jahren passiert ist, ist super. Es gibt viele Frauen in verschiedenen Positionen in der NHL. Es ist Zeit für eine neue Zeitrechnung, die auch Frauen die Möglichkeit gibt, in der NHL zu arbeiten. Ich fühle mich geehrt, ein Teil davon zu sein. Es ist ein Privileg. Das kann Tore für andere Frauen öffnen, auch in anderen internationalen Ligen. Wir können also alle einen wertvollen Beitrag leisten.“

Vertragsverlängerung im Coachella Valley

Eine schöne Bestätigung für ihre Arbeit erhielt Campbell bereits: Ihr Vertrag bei den Firebirds wurde vorzeitig um zwei Jahre bis 2026 verlängert.

„Für mich ist es das richtige Level. Es passt perfekt, dass ich mit Talenten arbeiten kann und möchte ihnen helfen, ihre Ziele zu erreichen“, sagt Campbell. „Mein ultimatives Ziel ist es, irgendwann in der NHL zu trainieren. Erstmal möchte ich weiter lernen. Wir werden sehen, wohin meine Reise geht.“