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Seine Stimme stockte. Die Eindrücke vom gerade erfolgten Playoff-Aus waren noch frisch und wirkten bei Leon Draisaitl intensiv nach. Wenige Augenblicke zuvor hatten seine Edmonton Oilers mit 2:5 gegen die Vegas Golden Knights verloren und damit in der Serie in der 2. Runde der Stanley Cup Playoffs mit 2:4 den Kürzeren gezogen. Draisaitls Traum vom Gewinn des Stanley Cup ist damit erneut geplatzt. In den Medien-Gesprächen gab der 27-jährige Kölner einen Einblick in seine Gefühlswelt und übernahm Verantwortung.

"Es fühlt sich nach Versagen an"

"Es fühlt sich nach Versagen an oder nach einem verlorenen Jahr", sagte Draisaitl mit gebrochener Stimme. Die Kapuze seines Hoodies war über den Kopf gezogen, der Blick ging nach unten, in den Sprechpausen presste er seine Lippen aufeinander, fuhr sich durch den Playoff-Bart oder durch das Gesicht. "Es schmerzt", musste Draisaitl zugeben.

In Edmonton wurde alles andere als der Gewinn des Stanley Cup als Scheitern eingestuft. In der Oilers-Kabine war das nicht anders. Draisaitl selbst hatte in fast jedem Interview betont, dass ihm individuelle Erfolge egal seien. Das große Ganze, also der 20 Kilogramm schwere Silberpokal, stünde über allem. Selbst als der Center in Spiel 1 der Serie gegen Vegas einen Viererpack schnürte, das Spiel aber mit 4:6 verloren ging, antwortete Draisaitl auf die Frage, ob er nicht wenigstens ein bisschen Freude über seine vier Treffer empfinde, mit Nein, einem immer wiederkehrenden Kopfschütteln und einem erneuten Nein.

Leon Draisaitl mit seiner Punkteserie von 8-Spielen

Es war eine Szene, die zeigt, wie groß die Leere in Draisaitl nach Spiel 6 nun sein muss. Mit ihm und Connor McDavid werden die statistisch besten Spieler in der regulären Saison und in den Playoffs nicht um einen Titel spielen können. Die Gründe dafür liegen in der fehlenden Konstanz der Oilers, zu wenig Durchschlagskraft bei 5 gegen 5, zu vielen einfachen Fehlern in der Defensive und schwachen Torhüterleistungen (siehe detaillierte Analyse "Darum sind die Edmonton Oilers aus den Playoffs ausgeschieden" auf NHL.com/de).

Erst Playoff-Top-Torjäger, dann Ladehemmung

"Ich selbst muss dafür die Verantwortung übernehmen. Es war nicht gut genug", ging Draisaitl hart mich sich ins Gericht. Ausgerechnet der bisherige Playoff-Top-Torjäger blieb in den letzten vier Spielen gegen die Golden Knights ohne eigenen Treffer, steuerte nur einen Assist bei und hatte eine kumulierte Plus-Minus-Bilanz von -7.

Diese Ladehemmung war so nicht abzusehen und zeigte einmal mehr, wie abhängig die Oilers von Draisaitl und McDavid sind. Draisaitl legte in den Playoffs 2023 los wie die Feuerwehr: In der Serie gegen die Los Angeles Kings (4:2) gelangen ihm sieben Tore (7-4-11), in den ersten zwei Spielen gegen Vegas sechs Treffer (6-0-6). Zu diesem Zeitpunkt war Draisaitl bei 27 von 34 Oilers-Toren auf dem Eis (79,4 Prozent). Die Social-Media-Abteilung der Golden Knights benannte die Edmonton Oilers kurzerhand in "Leon Draisaitls" um. Dessen plötzliche und unerwartete Torflaute traf die Kanadier daher hart.

Leon Draisaitl setzt beeindruckende Playoffs fort

"Es ist immer schwer zu treffen. Die Gegner haben hart gegen mich gespielt, das weiß ich. Ich muss trotzdem einen Weg finden, besser zu sein", sagte Draisaitl zu seiner Durststrecke.

Inwiefern der umstrittene Stockschlag von Alex Pietrangelo auf Draisaitls Hand in Spiel 4 einen Einfluss auf dessen Leistung hatte, blieb dagegen unaufgelöst. Inklusive dieser Partie steuerte er nur noch einen Assist sowie acht Torschüsse bei und blieb in den letzten beiden Partien komplett ohne Scorerpunkt bei einer Plus-Minus-Bilanz von -5. Der Deutsche könnte also angeschlagen gewesen sein.

Bis dahin war Edmontons Nummer 29 die ultimative Torfabrik in den Playoffs 2023: Draisaitl traf in sieben von zwölf Spielen, erlebte vier Mehrfach-Tore- und fünf Mehrfach-Punkte-Spiele und war mit 13 Treffern (13-5-18) die Nummer eins der Torschützenliste.

Bärenstarke Saison als Powerplay-Spezialist

Vorausgegangen wir nicht weniger als ein Karrierejahr in der regulären Saison 2022/23. Draisaitl stellte eine neue persönliche Bestmarke in Sachen Scorerpunkte auf und schloss die Hauptrunde mit 128 Zählern ab (52-67-128). Er war damit ligaweit der zweitbeste Scorer hinter seinem Teamkollegen McDavid (64-89-153).

Draisaitl zeichnete auch für die meisten Powerplaytore verantwortlich (32). Sein Lieblingsplatz im rechten Bullykreis, von wo er mit fulminanten Direktabnahmen erfolgreich war, wird von vielen als "Draisaitls Wohnzimmer" bezeichnet.

Er erzielte zudem die zweitmeisten Powerplaypunkte (62), die zweitmeisten Siegtreffer (11), er besaß die drittbeste Schusseffizienz unter allen Spielern, die mindestens die Hälfte aller Partien absolviert hatten (21,1 Prozent) und bekam die viertmeiste Eiszeit unter allen NHL-Stürmern (im Schnitt 21:44 Minuten).

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Hinter einem berauschenden Jahr stehen mehr als nur Zahlen, so verzückte Draisaitl die Hockey-Fans weltweit mit spektakulären Treffern, starker Übersicht, unglaublichen Pässen und war mit seiner Physis (1,89 Meter groß, 94 Kilogramm schwer) kaum von der Scheibe zu trennen.

Kurz zusammengefasst: Hinter Draisaitl liegt eine Monster-Saison!

Der Schmerz als Antrieb für die Zukunft

Auch wenn das Happy End ausblieb, werden sich die Ansprüche in Edmonton nicht ändern: Das große Ziel bleibt der Gewinn des Stanley Cup. Hierfür sollen die schmerzhaften Erfahrungen, die Draisaitl & Co. in diesem Jahr machen mussten, weiterhelfen.

"Was ich mitnehme, ist das Gefühl, wie sehr es wehtut. Ich glaube, dass keiner in dieser Kabine dieses Gefühl noch einmal erleben möchte. Jeder einzelne muss alles dafür tun und sicherstellen, dass es nicht noch einmal so kommt", hob Draisaitl hervor.